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Ölkonzerne steigern die Investitionen

Experten meinen, dass diese Investitionen zu gering sind, um einer Ölknappheit zu entkommen.

Ölkonzerne investieren wieder mehr in fossile Energien - sinkenden Gewinnen zum Trotz. Die fünf größten westlichen Ölunternehmen Exxon Mobil (WKN: 852549 ; ISIN: US30231G1022), Chevron (WKN: 852552 ; ISIN: US1667641005), Shell (WKN: A3C99G ; ISIN: GB00BP6MXD84), BP (WKN: 850517 ; ISIN: GB0007980591) und Total Energies (WKN: 850727 ; ISIN: FR0000120271) gaben im ersten Halbjahr insgesamt 46,6 Milliarden Dollar aus, damit also 43 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Für die Weltwirtschaft ist das eine positive Nachricht, da Experten bereits aufgrund verringerter Fördermengen zum Ende des Jahres vor einer Ölknappheit warnen. Dann könnten pro Tag rund zwei Millionen Barrel fehlen. 

Nach Branchenschätzungen gab die gesamte Industrie nur 305 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr für die Erdölförderung aus, obwohl es laut der Internationalen Energieagentur (IEA) mindestens 466 Milliarden Dollar an Investitionen pro Jahr braucht, um den weltweiten Ölbedarf bis 2030 zu decken.

Diese Wende könnte aber zu spät kommen. „Die Ölkonzerne investieren jetzt zwar wieder mehr in die Exploration von Öl und Gas. Aber das reicht nicht“, meinte die unabhängige Ölmarktexpertin Cornelia Meyer gegenüber dem Handelsblatt. 

Aus Sicht des Klimaschutzes ist das aber ein Dilemma. Das Verbrennen fossiler Energieträger ist hauptverantwortlich für die globale Erderwärmung. Dazu ist es lohnenswert für Ölkonzerne, in nachhaltige Geschäfte zu investieren, um langfristig profitabel zu sein. Gleichzeitig braucht es laut Fachleuten aber mehr Geld für die Ölförderung, damit die mittelfristige Nachfrage der Weltwirtschaft befriedigt werden kann.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs rechnet vor, dass die Welt bis 2025 aufgrund geringer Investitionen mit zehn Millionen Barrel Öl pro Tag weniger auskommen muss. Diese Menge entspricht der Tagesproduktion des weltweit zweitgrößten Ölproduzenten Saudi-Arabien. 

Vor zehn Jahren wurden noch 900 Milliarden Dollar pro Jahr in die Öl- und Gasförderung investiert. Danach sanken die Investitionen. Experten warnen: „Wir haben alle Reservekapazitäten im System ausgeschöpft und können Lieferunterbrechungen wie die, die wir derzeit aufgrund des Russland-Ukraine-Konflikts erleben, nicht mehr verkraften“, schreiben sie.

Tendenziell haben sich die Ölkonzerne auf eine Welt mit sinkendem Ölverbrauch eingestellt. Der russische Einmarsch in die Ukraine hat diese Situation aber verändert. Aufgrund der langsameren postpandemischen Erholung der chinesischen Wirtschaft konnten die Ausfälle von anderen Lieferanten zwar kompensiert werden, allerdings bleibt die Lage angespannt. 

Um den unter Druck geratenen Ölpreis nach unten zu stabilisieren, drosselt Saudi-Arabien seine Produktion um einen weiteren Monat. Das bedeutet, dass das Land im September eine Million Barrel pro Tag weniger fördert, wie die staatliche Nachrichtenagentur Saudi Press Agency am vergangenen Donnerstag berichtete.

Trotz der Klimapolitik wollen die Statten die Konzerne nun zu mehr Investitionen bewegen. US-Präsident Joe Biden drohte etwa mit höheren Steuern. Dabei haben die Chefs von Big Oil aber gesehen, wie profitabel es sein kann, sparsam vorzugehen. Sie wissen, dass zusätzliche Ausgaben in der Produktion die Knappheit verringern und die Preise drücken, weshalb sie bei Weitem nicht so stark investieren wie früher.

Dennoch investieren sie. Bei Shell flossen von 11,6 Milliarden Dollar Gesamtinvestitionen fast vier Milliarden direkt in den „Upstream“-Bereich, also die Erkundung und Förderung von Erdöl- und Erdgasprojekten. Die Konkurrenz von BP will ihre Öl- und Gasproduktion im Vergleich zu 2019 bis 2030 um 25, statt wie angekündigt 40 Prozent verringern. 

BP-CEO Bernard Looney setzte die Ankündigung im ersten Halbjahr 2023 direkt in die Tat um. Bei acht Milliarden Dollar Gesamtinvestitionen flossen drei Milliarden in die Produktion und Verarbeitung von Erdöl. Damit steigerte BP seinen Output um mehr als sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 

Die IEA rechnet für das Jahr 2023 mit Rekordinvestitionen von 528 Milliarden Dollar im Öl- und Gassektor - so viel wie seit 2015 nicht mehr. Diese Marke dürfte im laufenden Jahr erreicht werden. Die Hälfte des Anstiegs wird allerdings durch höhere Kosten aufgefressen, da sich die in den vergangenen Jahren unterlassenen Investitionen so nicht ausgleichen lassen. 

Großbritannien hatte erst in der letzten Woche angekündigt, Hunderte neue Lizenzen zur Öl- und Gasförderung in der Nordsee vergeben zu wollen. „Heute ist es wichtiger denn je, dass wir unsere Energiesicherheit stärken und diese Unabhängigkeit nutzen, um britische Haushalte und Unternehmen mit erschwinglicher, sauberer Energie zu versorgen“, verteidigte Premierminister Rishi Sunak die Entscheidung gegen die Kritik von Umweltschützern. Mit heimischer Förderung wolle man sich von Russland unabhängig machen. 

Seit dem Angriff auf die Ukraine fällt der wichtigste Exporteur für den europäischen Markt aus. Nach der Pandemie war die Lage auf den Öl- und Gasmärkten ohnehin angespannt. Weil die Nachfrage eingebrochen war, hatte die Branche teure Förderanlagen sogar stillgelegt. Von ihnen sind viele bis heute nicht wieder in Betrieb. „Die Ölnachfrage wird wachsen, und es wird eine Knappheit geben“, sagt Ölmarktexpertin Meyer.

Die sogenannte „peak demand“, also die Spitze bei der Nachfrage, sei noch Jahre entfernt. Erst ab 2035 rechnen Experten mit einem Ende des weltweit steigenden Ölbedarfs. Aber allein in diesem Jahr könnte die globale Ölnachfrage um 2,2 Millionen Barrel pro Tag steigen und so einen neuen Rekord erreichen. 

Allerdings steckt Big Oil nach wie vor Milliarden in Aktienrückkäufe und Ausschüttungen, statt zu investieren. „Obwohl die Gewinne sinken, kaufen die Ölkonzerne immer mehr Aktien zurück und erhöhen ihre Dividende. Das ist mutig und ein Zeichen dafür, dass die Unternehmen unter massivem Druck stehen, Investoren bei Laune zu halten“, so Meyer. Der neue Shell-CEO Wael Sawan kündigte etwa an, die Renditen für die Aktionäre durch eine „rücksichtslose Konzentration auf Leistung, Disziplin und Vereinfachung“ zu steigern.

Bei Shell sollen die Ausschüttungen an die Aktionäre auf 30 bis 40 Prozent des operativen Cashflows steigen statt wie bisher auf 20 bis 30 Prozent. Die Dividende pro Aktie wird gleichzeitig ab dem zweiten Quartal um 15 Prozent erhöht. In der zweiten Jahreshälfte will der Konzern Aktienrückkäufe im Wert von mindestens fünf Milliarden Dollar tätigen. Und auch Total und BP kündigten milliardenschwere Rückkaufprogramme an. 

Damit wollen europäische Ölkonzerne ihre Lücke zur amerikanischen Konkurrenz von Exxon und Chevron schließen, die im Gegensatz zu Shell, BP und anderen ihre Dividenden nicht massiv gekappt, sondern an den hohen Dividenden festgehalten haben. 

Zeitgleich spüren die Unternehmen auch, dass sich die Öl- und Gaspreise von den Rekordhöhen entfernen, auf die sie nach dem Ende der Pandemie und dem Beginn des Ukrainekriegs zunächst gestiegen waren. 

Noch vor einem Jahr lag der Preis für ein Barrel der Nordseesorte Brent bei mehr als 100 Dollar, mittlerweile ist er wieder auf 84 Dollar gesunken. Deutlicher sind die Preissenkungen bei Erdgas. Kostete eine Megawattstunde im Sommer 2022 noch knapp 200 Euro an der niederländischen Börse TTF, liegt der Kurs aktuell dagegen nur noch bei 28 Euro.  

Damit sinken auch die Gewinne der Ölkonzerne. Statt knapp 90 Milliarden Dollar nahmen die großen fünf nur noch 63 Milliarden Dollar ein. Obwohl die Gewinne damit immer noch historisch hoch sind, investieren die Unternehmen aber wenig. 

Institutionelle Anleger, wie der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock, haben die Ölkonzerne jahrelang zu einem harten Sparkurs aufgefordert, um die Ausgaben unter Kontrolle zu halten. „Wir werden vom Markt nicht wirklich für Wachstum bezahlt“, meinte Chevrons Finanzchef Pierre Breber schon im vergangenen Jahr. Deswegen halten die Ölkonzerne ihre Investitionen knapp. 

Kurzfristig könnte sich die Lage aber entspannen, da die weltweite Nachfrage aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage in vielen Ländern mittlerweile unter Druck gerät. IEA-Experten korrigieren ihre Prognose der Ölnachfrage deswegen in der neuesten monatlichen Marktanalyse von 2,4 auf 2,2 Millionen Barrel nach unten. Vor allem in Europa sei die Schwäche der Industrie spürbar.

Allerdings steigen die Investitionen in erneuerbare Energien. „Mit mehr Geld für neue Öl- und Gasprojekte kann man der Klimakrise nicht begegnen“, sagt Energieexperte Manfred Santen von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Es fehle der Wille der Konzerne, mit genauso viel Energie in Erneuerbare zu investieren. Verglichen mit der Investition in die Förderung von Öl, sei nur vier Prozent der Investments in nachhaltige Technologien geflossen.

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