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Veränderte Marktbedingungen? So reagieren die Profis

Angesehene Vermögensbetreuer erwarten das Ende der aktuellen Aktienmarkt-Rallye und stellen sich darauf ein, die Balance zwischen Rendite und Risiko in den Depots ihrer Klienten neu zu kalibrieren.

Nach einem beeindruckenden Anstieg der Aktienkurse, getrieben durch die Erwartungen an technologische Durchbrüche in der Künstlichen Intelligenz (KI) und mögliche Zinssenkungen durch die Zentralbanken, zeigt sich aktuell eine Abkühlung an den Börsen. Insbesondere in den USA und Europa verzeichneten wichtige Indizes wie der “S&P 500”, der “Stoxx Europe 600” und der “DAX” beachtliche Zuwächse von etwa 20 Prozent und erreichten neue Höchststände. Allerdings wachsen nun die Zweifel an einer schnellen Senkung der Zinssätze in den USA, was Fragen hinsichtlich eines möglicherweise zu optimistischen Markts aufwirft.

Wie bewerten Experten die aktuelle Marktsituation?

Oliver Leipholz vom “Deutsche Oppenheim Family Office” warnte bei einem Gespräch mit dem Handelsblatt, dass der Markt überhitzt sei. Er empfiehlt Investoren zur Vorsicht und prognostiziert für die USA zwei Hauptfaktoren, die zu einer Abkühlung der Börsenstimmung führen könnten: ein nachlassender Konsum und das Auslaufen fiskalischer Hilfsmaßnahmen, beispielsweise aus der Corona-Krise. Leipholz erwartet, dass die Aktienmärkte im Sommer möglicherweise eine Phase der Seitwärtsbewegung oder sogar Korrekturen erleben könnten, gefolgt von einer Erholungsrallye nach der US-Präsidentschaftswahl im Herbst.

Achim Siller von der Schweizer Bank “Pictet” und Thomas Heller, der neue Chef-Anlagestratege der “Frankfurter Bankgesellschaft”, einer Institution der “Sparkassengruppe”, sehen ebenfalls die Wahrscheinlichkeit von Kursrückgängen. Siller prognostiziert Rücksetzer von bis zu zehn Prozent.

Trotz der jüngsten Stärke der Märkte, die durch den nahtlosen Übergang von einer Zins- zu einer Konjunkturrallye gekennzeichnet war, identifizieren Siller und Heller ein zentrales Problem: den Mangel an neuen Käufern. Umfrageergebnisse deuten auf eine hochpositive Investorenstimmung hin, was bedeutet, dass die meisten interessierten Anleger bereits investiert haben. Angesichts der aktuellen Marktpause beginnen einige Anleger, aus Furcht vor Verlusten Gewinne zu realisieren. Besonders US-Aktien werden als relativ teuer angesehen.

Dennoch glaubt Siller, dass das Jahr 2024 ein gutes Jahr für Aktien sein könnte, während er bei Anleihen lediglich ein durchschnittliches Jahr erwartet. In den Beispielportfolios der drei Experten nehmen Anleihen jedoch einen signifikanten Anteil ein, vor allem als Absicherung gegen mögliche Kursverluste in anderen Anlageklassen.

Aktienstrategie: Vorsichtige Haltung gegenüber US-Märkten

Das “Deutsche Oppenheim Family Office” hat seine Aktienbeteiligung im Beispielportfolio derzeit als „neutral“ eingestuft, was einer Quote von 40 Prozent entspricht. Unter „neutral“ versteht man, dass keine besonderen Erwartungen an die Marktentwicklung geknüpft sind. Dabei entfallen jeweils 15 Prozent auf europäische und US-amerikanische Aktien, während Asien mit einem Zehntel vertreten ist.

Vorstand Leipholz erklärt, dass man die Investitionen in den USA zugunsten von China zurückfährt und Europa aufgrund anhaltenden Nullwachstums, insbesondere in Deutschland und Frankreich, untergewichtet bleibt. In Asien erhöht er den Anteil auf fast zwölf Prozent, mit einem besonderen Augenmerk auf China. Trotz aktueller Herausforderungen wie der Immobilienkrise sieht er das Land aufgrund der von der Regierung angekündigten Wachstumsziele und Unterstützungsmaßnahmen für Banken positiv. Indiens Aktienmarkt bleibt aufgrund der hohen Bewertungen, die mit denen der US-Tech-Branche vergleichbar sind, unverändert.

In Bezug auf Branchen konzentriert sich Leipholz in den USA auf Technologiewerte, jedoch nicht ausschließlich auf große Konzerne wie “Alphabet”, “Amazon”, “Apple” oder “Microsoft”. Er findet auch Nischen wie Cybersecurity, IT-Beratung und Zulieferer für die Chip-Industrie interessant. Zudem zieht er Anbieter von Rohstoffen und Minenbetreiber in Betracht, da diese Aktien bisher nicht so stark im Fokus standen wie IT-Unternehmen.

Frankfurter Bankgesellschaft: Anpassungen in der Aktienstrategie

Bei der “Frankfurter Bankgesellschaft” liegt die Aktienquote aktuell bei 44 Prozent, doch Chef-Anlagestratege Heller plant bereits eine Reduzierung auf 40 Prozent, was er ebenfalls als „neutral“ betrachtet. Sein Fokus liegt auf qualitativ hochwertigen Aktien von Unternehmen, die durch Wachstum, Rentabilität, hohen Eigenkapitalanteil und robuste Geschäftsmodelle überzeugen. Heller sieht die Bedenken hinsichtlich einer wirtschaftlichen Abkühlung in den USA als überwunden an und bemerkt positive Signale für eine wirtschaftliche Erholung in Europa. Dementsprechend hat er Investitionen in konjunkturabhängige Sektoren und Zykliker wie Industrie- und Konsumaktien erhöht, während der Anteil an Technologieaktien, die zuletzt eine starke Performance zeigten, reduziert wurde. In Bezug auf Schwellenländer verhält sich die “Frankfurter Bankgesellschaft” eher zurückhaltend, erwägt jedoch eine Allokation von zwei bis drei Prozent des Portfolios in China bei Anzeichen einer wirtschaftlichen Stabilisierung.

Pictet: Diversifizierte Aktienauswahl mit neutraler Gewichtung

Auch bei “Pictet” wird eine „neutrale“ Aktienquote als Anteil von 48 Prozent des Portfolios definiert. Chef des Portfoliomanagements Siller setzt auf eine breite Diversifizierung in Sektoren wie Industrie, Investitionsgüter, Konsumgüter, Rohstoffe, Energie und Technologie. Er betrachtet aktuell insbesondere Bankaktien als attraktiv, aufgrund ihrer relativ günstigen Bewertung. Die hohen Bewertungen amerikanischer Aktien haben jedoch zu einer Reduzierung ihres Anteils auf 13 Prozent geführt.

Siller bezieht auch japanische Aktien in das Portfolio ein, da er den japanischen Markt aufgrund seines Technologieangebots und struktureller Verbesserungen als attraktiv einschätzt. Schwellenländeraktien werden von “Pictet” momentan nur über Fonds und ETFs abgedeckt, während in China aufgrund von Vertrauensproblemen keine Direktinvestitionen getätigt werden.

Anleihenstrategien: Fokus auf Qualität und Sicherheit

“Deutsche Oppenheim Family Office”: In Erwartung potenzieller Zinssenkungen favorisiert Leipholz Anleihen mit mittelfristigen Laufzeiten zwischen fünf und sieben Jahren, die aufgrund gestiegener Zinsen eine solide Renditebasis bieten. Er konzentriert sich dabei vorrangig auf Staatsanleihen, da Unternehmensanleihen trotz ihres höheren Risikos nur eine geringfügig bessere Rendite versprechen. Sein Engagement in Unternehmensanleihen beschränkt sich hauptsächlich auf den europäischen Raum.

“Frankfurter Bankgesellschaft”: Heller sieht in der Mehrrendite von Unternehmensanleihen eine attraktive Option und präferiert hochwertige Papiere, ohne dabei hohe Risiken einzugehen. Er bevorzugt Anleihen mit mittleren Laufzeiten und tendiert dazu, auslaufende Papiere durch länger laufende Anleihen zu ersetzen.

“Pictet”: Siller setzt überwiegend auf Unternehmensanleihen mit hoher Kreditwürdigkeit. Einen Teil seines Portfolios investiert er in Schwellenländern, wo Firmenanleihen solventer Emittenten einen etwa einen Prozentpunkt höhere Renditen als in den USA bieten. Bei Staatsanleihen aus Schwellenländern konzentriert sich sein Interesse auf Brasilien und Indonesien, inklusive Anleihen in lokalen Währungen.

Rohstoffstrategien: Fokus auf Gold und Industriemetalle

Im Musterportfolio nimmt der Rohstoffsektor mit einem Anteil von zehn Prozent eine bedeutende Rolle ein. Leipholz betrachtet Gold als Absicherung gegen Inflation und stellt fest, dass die steigende Nachfrage der Zentralbanken den Goldpreis unterstützt. Zudem sieht er in Industriemetallen sowie in den zuletzt preislich gesunkenen CO2-Zertifikaten Hoffnungsträger für die Konjunktur.

“Pictet” beschränkt sich auf eine geringfügige Zugabe von zwei Prozent Gold im Portfolio. Heller von der “Frankfurter Bankgesellschaft” sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine Beimischung von Rohstoffen wie Gold in seinem Musterportfolio, da dieses keine Dividenden oder Zinsen generiert.

Immobilieninvestitionen: Fokus auf Europa

“Deutsche Oppenheim Family Office”: In Erwartung einer Zinswende hat sich der Vermögensverwalter relativ früh für Investitionen in Immobilien entschieden, insbesondere in “Real Estate Investment Trusts” (REITs) in Schweden und den Niederlanden, die sich auf Bestandswohnungen und Logistik konzentrieren. Leipholz rät zur Vorsicht bei “US-REITs” und betont die Wichtigkeit der Bilanzqualität, sieht jedoch auch dort interessante Investitionsmöglichkeiten.

“Pictet” und Chefmanager Siller sehen erneut attraktive Einstiegspunkte im Immobiliensektor, vor allem im Bereich der Logistik. Bei Gewerbeimmobilien scheinen Schnäppchen vorrangig in Europa möglich. In den USA hingegen, wo die Leerstandsquoten bei Büroimmobilien etwa 20 Prozent erreichen, sind die Herausforderungen größer.

Alternative Anlageformen: Anpassungen im Markt

Alternative Investments, die nicht an Börsen gehandelt werden, finden nicht standardmäßig Eingang in Musterportfolios, sondern werden im Rahmen der Betreuung vermögender Klienten individuell besprochen. Siller von “Pictet” sieht momentan vor allem in Fonds, die sich auf die Restrukturierung notleidender Kredite spezialisieren, attraktive Möglichkeiten. Im Bereich des Private Equity merkt er an, dass sich die Preisforderungen von den Spitzenwerten bis 2022, als das Elf- bis Zwölffache der Bruttoerlöse üblich war, auf realistischere Niveaus von etwa dem Neunfachen korrigiert haben. Zudem beobachtet er, dass Banken nun höhere Eigenkapitalanteile fordern, eine Umkehrung der vormals gängigen Verschuldungsquote von 60 zu 40.

Alternative Investments bilden bei “Pictet” derzeit einen Anteil von elf bis 30 Prozent in den Beispielportfolios, abhängig von der Entscheidung der Anleger für oder gegen Private Equity. Hinzu kommen fünf bis zehn Prozent in Hedgefonds, deren Anteil Siller angesichts attraktiver Alternativen durch höhere Renditen bei Anleihen und Aktien zurückgefahren hat. In Kryptowährungen sind alle drei Vermögensverwalter übrigens nicht engagiert.

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