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Eine Krise von historischem Ausmaß

Was im historischen Vergleich besonders ist und mit welcher Entwicklung Anleger rechnen müssen.

Nach Jahren steigender Kurse, sich gut entwickelnder Anleihen und einer niedrigen Inflation finden sich Anleger heute in einer Welt mit großer Unsicherheit, verlorenen Werten an Aktienmärkten und abstürzenden Staatsanleihen wieder. Manch einer spricht von einem Anleihen-Crash von historischem Ausmaß. Gleichzeitig verlieren Aktien an Wert, ebenso wie Kryptowährungen und auch an den Immobilienmärkten ist die Stimmung schlecht. Für Mischportfolios aus Aktien und Anleihen ist das Börsenjahr 2022 das schlechteste seit nahezu einem Jahrhundert, so der Vermögensverwalter Euroswitch.

Die beiden größten relevanten Indizes, der MSCI World und das Bloomberg Aggregat, verzeichnen etwa 30 Billionen Dollar Verluste an Buchwert. Das bedeutet, dass die bisher bewährte Risikomischung aus Aktien und Anleihen versagt hat. Allein der Index der Tech-Aktien, einst die Sterne am Aktienhimmel, gelistet im Nasdaq-Index, sind insgesamt 35% weniger wert als zu Jahresbeginn. Der S&P 500 verlor in den letzten neun Monaten 28% und auch die bisher sichere zehnjährige US-Anleihe hat 18% an Wert verloren. Laut Charlie Bilello von Compound Capital Advisors nähert sie sich dem größten Kursverlust ihrer Geschichte. 

Ein US-Portfolio mit 60% Aktien und 40% Anleihen hat bisher über 20% verloren. Ein Rekord seit 1931. Seit 1928 gab es nur fünf Jahre, in denen sowohl der S&P 500, als auch die Staatsanleihe negative Ergebnisse gebracht haben. Dass die Einbrüche im zweistelligen Bereich sind, ist hingegen ein Novum. In Deutschland sind die Anleiherenditen auf über zwei Prozent gewachsen, gleichzeitig sind die Kurse an den Börsen gefallen. Der Dax hat bis Ende des dritten Quartals 23,7% verloren. 

Für Anleger stellen sich damit die Fragen, wie man sich gegen weitere Verluste schützen kann, wann der richtige Zeitpunkt zum Kauf oder Verkauf gekommen ist und wie sich Risiken ausgleichen lassen. Dabei kommt es aber neben der Marktentwicklung auch darauf an, wie lange Anleger ihr Kapital investieren wollen und wie viel Risiko sie bereit sind einzugehen. Vermögensverwalter Bert Flossbach macht deutlich, dass die schlechte Stimmung ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis bietet, als eine euphorische Stimmung an den Märkten. 

Bisher folgten auf sinkende Renditen steigende Aktienkurse. Wenn Anleihen mit niedrigen Zinsen auf den Markt gekommen sind, stiegen höherbezinste Papiere so lange, bis sie dieselbe Rendite erreichen konnten. Das breitete sich auf alle Vermögenswerte aus, also auf Aktien und Immobilien, was durch die großzügige Geldpolitik zu enormen Kursblasen geführt hat. Solange die Inflation unter den angestrebten zwei Prozent blieb und drohte noch weiter abzurutschen, drückten die Notenbanken die Zinsen rigoros, als Reaktion auf niedriges Wachstum, wenigen Investitionen, schwacher Produktivität und den Bedarf an Geldanlagen. US-Ökonom spricht von einer “rationalen Blase”, die auf Niedrigzinsen, statt auf Börsenoptimismus beruhte. 

Seit der Corona-Krise, dem Krieg in der Ukraine und der spürbar werdenden Klimakrise hat sich die Situation verändert. Die Inflation grassiert, Zinsen steigen, Kurse fallen und das Finanzsystem kommt an seine Grenzen. Die Sorge besteht, dass der Markt für Staatsanleihen austrocknet. Damit stehen die Notenbanken vor drei Problemen, die es gleichzeitig zu lösen gilt: Der hohen Inflation, der energiebedingten Rezession und dem maroden Finanzsystem. 

Die nun zu erwartenden Kursreaktionen hängen mit den Erwartungen der Investoren bezüglich der Geldpolitik zusammen. Notenbanken können allerdings nicht wie bisher einspringen, wenn die Situation an den Märkten kritisch wird, was durch die Inflation verkompliziert wurde. Rund 80% der Notenbanken sind dabei, die Leitzinsen zu erhöhen. 

In Europa rechnet der Markt mit einem Anstieg des Zinses auf nahezu drei Prozent bis zum Herbst des nächsten Jahres. Entscheidender für die Märkte und die Anleiherenditen ist, dass die FED seit September ihre Bilanz um monatlich 95 Milliarden US-Dollar reduziert und auslaufende Staatsanleihen nicht mehr ersetzt.

Nach Expertenmeinung ist dies ein gewichtiger Grund für die fallenden Aktienkurse und die steigenden Renditen, zumal viele andere Notenbanken US-Staatsanleihen gekauft haben, um Währungsreserven aufzubauen. Viele Notenbanken verkaufen nun Zentralbanken ihre Anleihen. Gründe sind die Unsicherheiten des Dollars, sowie seine Stärke gegenüber anderen Währungen. 

Angesichts dieser Situation empfiehlt der Chefanlagestratege der Hypo-Vereinsbank München, Philip Gisdakis, Anlegern, langfristig zu denken und sich nicht allzu sehr von derzeitigen Verwerfungen beeinflussen zu lassen. Bei hohen Barvermögen sieht er langfristig die Chance für Aktien, wahlweise in Form von Indexfonds oder auch Einzeltiteln.

Europäische Unternehmen haben derzeit einen durchschnittlichen KGV von zehn oder sogar darunter, was bedeutet, dass sie innerhalb von zehn Jahren in der Lage sind, durch die Gewinne ihren Börsenwert zu erwirtschaften. Noch vor einem Jahr lag der Durchschnitt bei 15. Laut Oliver Leipholz, von Deutsche Oppenheim Family Office, erwarten Analysten für 2023 noch steigende Firmengewinne im europäischen Aktienmarkt. Bisher hätten Experten in Rezessionen aber die Prognosen um 20-25% reduziert. Sobald sich die Gewinne dem Umfeld angepasst hätten, sei von einer Bodenbildung auszugehen. 

Es sei aber unwahrscheinlich, dass dies ohne Kursverluste geschehe, was für eine schlechte Stimmung bei Anlegern sorgen dürfte. Und auch Benjardin Gärtner von Union Investment meint, dass die Rezessionserwartungen noch nicht in den Aktienkursen eingepreist sind, sondern dass die Gewinnerwartungen für 2023 um ein Zehntel reduziert werden müssen. 

In den 70er Jahren lag die Inflation mit neun Prozent ebenfalls sehr hoch. Damals waren die Unternehmensgewinne mit etwa zehn Prozent pro Jahr schneller gestiegen als die Preise. Die Aktien erfuhren kaum Bewegung, allerdings stieg die Dividendenrendite auf fünf Prozent. 

Heute lautet die Frage, ob die Notenbanken die Inflation in den Griff kriegen, nach einhelliger Expertenmeinung ist das möglich, wird aber längere Zeit in Anspruch nehmen. Die Dekabank rechnet im Euro-Raum mit einer Entspannung der Inflation bis 2024 mit 3,3%. Für Deutschland blieben aber Werte um die 10% möglich. JP Morgan veranschlagt für die USA im kommenden September eine Inflation in Höhe von 3,2%. Joachim Fels von Pimco meint, dass der Peak Fear erreicht sei, dass Investoren also übertriebene Sorgen hätten. Nach dieser Meinung sei mit einer baldigen Entspannung an den Märkten zu rechnen. 

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