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Die Rückkehr der Anleihen

Anleihen sind zunehmend beliebter, während institutionelle Anleger mit einem Vertrauensverlust im Aktiensegment zu kämpfen haben.

Nachdem Anleihen zeitweise als Verlustbringer verrufen waren, werden sie für Anleger zunehmend attraktiv. In Europa investierten Anleger im ersten Halbjahr rund 102 Milliarden EUR in Bondfonds. 

Unter allen Fondsgruppen ist das ein historischer Stimmungsumschwung. Nach den Börseneinbrüchen im Frühjahr letzten Jahres als Folge des Ukrainekrieges und hoher Inflation waren Investoren aus sämtlichen Risikoinvestments geflohen und hatten in diesem Zuge auch für 84 Milliarden Euro Bondfonds verkauft. 

„Aber jetzt sind wir in einer historischen Lage: Der Zins ist zurück“, sagt Ali Masarwah, Chef der Fondsplattform Envestor. Dadurch werde die Stimmungswende angetrieben: „Es ist durchaus möglich, dass wir im Gesamtjahr in Europa auf 200 Milliarden Euro Nettokäufe bei den Anleihefonds kommen.“

Er rechnet damit, dass Käufer eine positive Realrendite erwirtschaften könnten. „Wenn man den Erwartungen an eine fallende Inflation glaubt, dann könnten sich heute Käufe etwa von risikolosen Staatsanleihen lohnen“, meint Masarwah. Diese beträgt derzeit im Euro-Raum nach bereits deutlichen Rückgängen 5,5 Prozent. Für die Kalkulation einer möglichen Endrendite nach Inflation spielen die Zinsen eine entscheidende Rolle. 

Die US-Notenbank startete im letzten Jahr die schärfste und schnellste Zinsstraffung aller Zeiten. Das zog die Verzinsung, beispielsweise der zweijährigen US-Staatstitel, von rund null auf fünf Prozent nach sich. Nach einem extremen Anstieg des generellen Zinsniveaus gibt es damit praktisch keine negativ rentierenden Bonds mehr. 

Auch in anderen Anlagebereichen änderten sich die Verhältnisse deutlich. Eine zehnjährige Bundesanleihe bringt momentan 2,5 Prozent, eine zweijährige 3,1 Prozent. Eur-Firmenanleihen mit gutem Rating erreichen vier Prozent Rendite. Hochzinspapiere erreichen sogar sieben bis acht Prozent.

„Die vier Prozent bei den Investment-Grade-Titeln sehen wir das erste Mal seit über zehn Jahren“, sagt Volker Kurr. Der Marktstratege bei Legal & General Investment Management beobachtet: „Anleger fangen an, in Anleihen umzuschichten oder Neugeld hier zu investieren.“ Das betreffe private und institutionelle Investoren. 

Laufzeitenfonds, bei denen Papiere mit ähnlicher Endfälligkeit gebündelt und die Fonds zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgelöst werden, werden zunehmend beliebter. Derzeit werden diese in Spanien, Frankreich und Italien abgesetzt. Der US-Anbieter Muzinich will auch für deutsche Anleger ein Produkt zeichnen, das in etwa vier Jahren liquidiert wird.

Drei Viertel der Fondsgelder liegen in Titeln mit guter Bonität und der Rest in Anleihen von Emittenten mit schlechterer Bonität. „Nach Gebühren kommen wir auf eine jährliche Anlegerrendite von rund fünf Prozent“, sagt Muzinich-Vertreter Clemens Bertram.

Anleger zeigen auch zunehmend Interesse an Aktien. Allerdings sind sie hier noch zurückhaltender als bei Bonds. Anleger zogen im letzten Jahr 28 Milliarden EUR aus Aktienfonds ab, investierten im ersten halbjahr 2023 aber nur 18 Milliarden EUR. Die Investments in Bonds verteilen sich gleichmäßig auf aktiv und passiv verwaltete Produkte. „Bei den ETFs auf Staatsanleihen der Industrieländer und Unternehmensanleihen aus dem Euro-Investment-Grade-Bereich sehen wir in Europa die stärksten Zuflüsse an Neugeldern“, kommentiert David Wenicker von Blackrock.

Bei Aktien entziehen die Kunden aber den Profis das Vertrauen. Allein die immensen Ankäufe von ETF verhindern rote Zahlen im Aktiensegment. Anleger verkauften aktiv verwaltete Aktienfonds in Höhe von 32 Milliarden EUR, kauften dagegen aber ETFs für 50 Milliarden EUR. 

„Anleger verlieren ein bisschen ihr Vertrauen in aktive Manager“, urteilt Shannon Kirwin. Die Morningstar-Analystin verweist auf die Anlageergebnisse, die oft schlechter ausfallen als die der Indexfonds. „Jedes Jahr kommen mehr ETFs mit geringen Gebühren auf den Markt, und jedes Jahr entdecken neue Anleger diese Produkte“, meint sie.

Hinsichtlich der Entscheidung, ob man Aktien oder Fonds kaufe, entscheide die „relative Attraktivität“, sagt Kurr von Legal & General Investment Management. „In den letzten Jahren bei sehr tiefen Zinsen oder sogar Negativzinsen war es richtig, keine Anleihen zu kaufen.“ Allerdings hat sich die Zinslandschaft fundamental verändert. Entgegengesetzt sei auch die Lage an den Aktienmärkten fundamental verändert.

Während Anleihen interessante Renditen versprechen, liegen Aktien nahe ihren historischen Höchstständen. Kurr argumentiert mit der relativen Attraktivität: „Wenn wir in ein paar Jahren auf heute zurückblicken, werden wir wahrscheinlich sagen, dass wir mit Anleihekäufen alles richtig gemacht haben.“

Masarwah von Envestor hat ein kurzfristigeres Argument. Er verweist auf die Meinung von Ökonomen und deren Prognose schwächelnder Konjunkturen nach dem restriktiven Kurs der Notenbanken. „Wenn dann die Aktien schwächeln, könnten Anleihen mit steigenden Kursen wieder als Puffer für fallende Aktienkurse wirken – Anleihefonds werden also viel attraktiver.“

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