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Der steinige Weg zu erneuerbaren Energien.

Gas geben oder Atomkraft nehmen? Die Energiesituation im Jahr 2023.

Seit dem 23. Juni 2022 gilt die Alarmstufe des Notfallplans der Bundesnetzagentur. So konnte ein möglicher Gasmangel im vergangenen Winter verhindert werden. Obwohl die Gasversorgung in Deutschland stabil ist und eine Versorgungssicherheit gewährleistet wird, bleibt die Vorbereitung auf den kommenden Winter eine zentrale Herausforderung.

Die aktuellen Füllstände der Gasspeicher sind mit rund 64 Prozent höher als im Frühjahr der Jahre 2018 und 2021. Allerdings muss, um die Gasversorgung für den kommenden Winter zu sichern, bis zum 1. September ein Speicherfüllstand von 75 Prozent erreicht werden. Gleichzeitig ist der Gasverbrauch in Deutschland gegenüber dem Schnitt von 2018 bis 2021 um 17 Prozent gesunken. Gas wird zudem für Neukund:innen für 10 Cent pro kWh gehandelt. Im vergangenen Jahr waren es noch 16 Cent. 

In den letzten Wochen sind die Großhandelspreise gesunken. Allerdings müssen sich Unternehmen und private Verbraucher:innen weiterhin auf schwankende Preise und ein erhöhtes Preisniveau einstellen. 

Europa löst sich weiter vom russischen Erdgas - Klimaschädling LNG auf dem Vormarsch

In den Jahren 2016-2020 lag die Durchschnittsmenge an importiertem Erdgas aus Russland zwischen rund 4200 und rund 5500 GWh pro Woche. In der vergangenen Woche wurden in der Spitze 828 GWh aus Russland importiert. Die Importzahlen aus Norwegen und Algerien sind bisher ähnlich wie in den vergangenen Jahren. 

Vielmehr konnte sich das Flüssiggas (LNG) durchsetzen. Es stammt aus verschiedenen Ländern weltweit und wird durch spezielle Tankschiffe geliefert und an Häfen mit LNG-Terminals empfangen. Im Norden Deutschlands sind bereits die ersten Terminals in Betrieb. In Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel fließt Erdgas aus sogenannten “Floating Storage and Regasification Units” (FSRU) ins deutsche Netz.

Anfang des Jahres übten Umweltverbände Kritik: Im Fokus stand der Einsatz von Chlor, das verhindern soll, dass sich in den Rohren am Terminal Algen, Seepocken und Kleinstlebewesen anlagern. Das ins Wasser abgeleitete Chlor bedrohe laut den Verbänden Tiere und Pflanzen im Wasser. Nach Angaben des “Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz” (NLWKN) erfüllt die beantragte Menge hingegen die gesetzlichen Bestimmungen.

Des Weiteren soll das LNG teilweise Erdgas aus Russland ersetzen. Jedoch ist der fossile Brennstoff nicht unproblematisch: So fördern die USA Erdgas zum Beispiel vor allem mithilfe der umstrittenen Fracking-Methode. Zudem besteht LNG fast komplett aus Methan, das auf dem Produktions- und Lieferweg entweichen könnte. Es ist ungefähr 25 Mal so klimaschädlich wie Kohlenstoffdioxid und trägt elementar zum Treibhauseffekt bei. Die Politik beteuert, dass die LNG-Infrastruktur in Zukunft auch für “grünen Wasserstoff” genutzt werden kann, was Kritiker bezweifeln. 

Zukunftsenergie Wasserstoff - mithilfe der Atomenergie? 

Um das Ziel des Green-Deals, die Treibhausgase bis 2050 auf null zu reduzieren und Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, benötigt die EU mehr dekarbonisierten Wasserstoff. Hier sind sich die Politiker:innen aus dem EU-Parlament in Brüssel einig. Strittig bleibt jedoch die Frage, woher das Industriegas kommen soll. 

Die EU-Kommission möchte in Europa produzierten Wasserstoff speichern, um sich von anderen Kontinenten und Staaten unabhängiger zu machen. Allerdings verfügt die EU über weniger Kapazitäten für erneuerbare Energien als andere Kontinente. Infolgedessen muss sie entweder auf kohlenstofffreien Wasserstoff aus dem Ausland setzen oder auf andere Formen von Elektrizität zurückgreifen. 

EU-Nachbar Frankreich fordert unterdessen, auf Wasserstoffproduktionsanlagen in Europa zu setzen, da Europa nicht über genügend erneuerbare Ressourcen für den Stromverbrauch und die Dekarbonisierung seiner Industrie verfügt. Die Mitgliedstaaten sollten sich darauf verständigen, Wasserstoff aus überschüssiger Kernenergie zu verwenden, um diesen Bedarf zu decken.

Frankreich setzt weiter auf Atomkraft

Bis 2030 sollen mindestens 42,5 Prozent des europäischen Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Zwar waren bisher lediglich 32 Prozent vorgesehen, jedoch haben sich die Institutionen der EU auf ein schärferes Vorgehen geeinigt. Die Quote von 42,5 Prozent gilt jedoch nicht für jeden EU-Partner gleichermaßen. Vielmehr wird noch entschieden, welches Land welchen Wert erreichen muss. 

Diese Einigung muss nun vom EU-Parlament und dem Rat der EU beschlossen werden. Scheitern könnte dieses Gesetz, da Frankreich bis zuletzt versuchte, die Atomkraft als Möglichkeit der Energiegewinnung zu stärken. Ziel war es, dass Wasserstoff, hergestellt aus Kernkraft, ähnlich behandelt wird wie aus erneuerbarer Energie hergestellter Wasserstoff. 

Obwohl sich zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten gegen Kernkraft in der Wasserstoffproduktion ausgesprochen haben, plant nun die EU-Energiekommissarin Kadri Simson staatliches Geld einzusetzen, falls in Atomkraft und erneuerbare Energien investiert wird. Die Subventionen sollen dazu beitragen, dass der Strompreis stabil bleibt. Für Investitionen in Atomkraft gelten dabei die gleichen Bedingungen wie für Investitionen in erneuerbare Energien. In Frankreich stößt der Vorschlag deshalb auf Zustimmung.

Die Grünen dagegen kritisieren die Kommission: „Investitionen in Atomenergie bedeuten Investitionen in die Vergangenheit“, so der Abgeordnete Michael Bloss. „Atomenergie ist teuer und hängt am Tropf massiver staatlicher Förderung.“

Kernkraft feiert weltweit eine Renaissance

“Die Länder, die sich in den vergangenen Jahren von der Atomkraft verabschieden wollten, sollten schauen, ob dies die beste Zeit ist, das zu tun”, erklärte Fatih Boril, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), in einem im Februar veröffentlichten Interview mit Reuters-TV. Atomenergie erlebe ein starkes Comeback in der ganzen Welt, von Japan, Südkorea über die USA und Schweden. Mit 379.400 Gigawattstunden führt EU-Nachbar Frankreich die Liste an, Deutschland belegt mit 56.600 Gigawattstunden den zweiten Platz. Schlusslicht sind die Niederlande mit 3.800 Gigawattstunden.

Laut dem Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft produzierten 13 europäische Staaten im Jahr 2021 rund 730.000 Gigawattstunden Atomstrom und somit ein Viertel der Gesamtmenge des in den Mitgliedsstaaten erzeugten Stroms. “Die Energiekrise führt in vielen EU-Staaten dazu, dass Meiler, die eigentlich abgeschaltet werden sollten, nun länger laufen. Überdies plant eine Reihe von Ländern den Bau neuer Atomkraftwerke”, berichtet der iwd. 

Das Ammenmärchen vom günstigen Atomstrom

Besonders in Zeiten der Energiekrise rücken Atomkraftwerke wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Diese seien nicht nur ökologischer als andere fossile Brennstoffe, sondern produzieren scheinbar auch kostengünstigeren Strom als erneuerbare Energien. Tatsächlich fallen für Atomstrom jedoch höhere Kosten an als bekannt. Diese verdeckten Kosten setzen sich aus steuerlichen Fördergeldern zusammen. Von 1950 bis 2010 sind in Deutschland mehr als 200 Milliarden Euro in Atomstrom investiert worden, mehr als in jede andere Energieform. 

Fazit

Rund um den Globus setzen Staaten wieder auf Atomkraft, sei es zur reinen Stromversorgung oder für die Produktion von Wasserstoff. Allerdings erscheinen im Gegensatz zu erneuerbaren Energien, zumindest in Deutschland, die Investitionskosten für Kernkraftwerke nicht auf der Stromrechnung der Endverbraucher. Kritiker gehen davon aus, dass grüner Strom bereits konkurrenzfähig wäre, insofern die Strompreise fair berechnet werden würden. 

Unterdessen versucht die Europäische Union, ihre Klimaziele der Taxonomie-Verordnung einzuhalten und sich von der Ressourcenabhängigkeit anderer Kontinente zu lösen. Fraglich bleibt jedoch, ob Atomkraft und Flüssiggas im Zeichen der Nachhaltigkeit stehen.

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