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Das Risikopotenzial deutscher Unternehmen alarmiert die Experten

Der überdurchschnittliche Anteil an Goodwill-Beständen in deutschen Unternehmen ist laut Expertenmeinung ein enormes Risiko für die heimische Wirtschaft.

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben einen der längsten Aufschwünge der jüngeren deutsche Geschichte beendet. Da viele deutsche Unternehmen auf Wachstum ausgerichtet sind, bedeutet dies ein Problem für die deutsche Wirtschaft. Die 40 Dax-Konzerne strapazieren derzeit ihre Bilanzen mit Zukäufen in Höhe von 352 Milliarden EUR so stark wie nie. Diese Summe nennt Geschäfts- und Firmenwerte (Goodwill) aus Übernahmen, die keinen Gegenwert haben. 32 von 40 Dax-Unternehmen verzeichnen einen deutlichen Anstieg von Goodwill-Beständen. Bei acht Unternehmen im Dax, MDax und SDax übersteigen die Goodwill-Bestände sogar das Eigenkapital. Laut Christof Schürmann vom Flossbach von Storch Research Institute sollten Anleger auf das Verhältnis von Goodwill und Eigenkapital achten, da angesichts der Zinsen mit höheren Abschreibungen zu rechnen sei. Derlei Abschreibungen verringern den Nettogewinn und das Eigenkapital, was sich ungünstig auf Dividenden und Investitionen und damit auch schlecht auf die Aktienkurse auswirkt. 

Der Goodwill bezeichnet Vermögenswerte in der Bilanz, die nach Übernahmen entstehen, wenn Firmen für mehr Geld übernommen wurden, als sich in deren Büchern an Vermögen befindet. Wenn sich die Firmenwerte nicht mehr auszahlen, sind die Konzerne zu Abschreibungen gezwungen. Solche Abschreibungen vermindern den Gewinn und damit das Eigenkapital. 

Deutsche Unternehmen stehen hinsichtlich des Goodwills im internationalen Vergleich besonders schlecht und risikobelastet dar. Laut einer Studie von Schürmann haben die 40 Dax-Konzerne 4,6% der globalen Geschäfts- und Firmenwerte angehäuft, die sich auf insgesamt 9400 Milliarden US-Dollar belaufen. Gleichzeitig macht der Dax aber nur 1,6% der weltweiten Marktkapitalisierung von Aktien aus, womit die Goodwill-Bestände deutscher Unternehmen überdurchschnittlich hoch sind. Auch die Relationen innerhalb der Bilanzen sehen bei deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich schlecht aus. Laut Capital IQ liegen die Anteile von Goodwill zum Eigenkapital im Schnitt bei 18%. Allein bei deutschen Firmen liegt der Goodwill Anteil bei etwa 34%. 

Der Aktienmarkt misstraut solchen Unternehmen für gewöhnlich in Krisenzeiten. In den letzten drei Jahren entwickelten sich die Aktien von Unternehmen mit hohen Goodwill-Anteilen, etwa von Bayer (WKN: BAY001 ; ISIN: DE000BAY0017) oder Fresenius Medical Care (WKN: 578580 ; ISIN: DE0005785802), schlechter als der Dax. Auch Unternehmen im SDax sind davon betroffen. All diese Firmen haben mehr Goodwill als Eigenkapital angehäuft. 

Da der Goodwill von zwei Seiten unter Druck gerät, stehen diese Aktien besonders im Fokus. Verantwortlich für diesen Druck sind steigende Zinsen und schlechte Geschäfte infolge des konjunkturellen Abschwunges. 

Trotz der sinkenden wirtschaftlichen Frühindikatoren und steigender Zinsen haben die Unternehmen ihre Bilanzen im letzten Jahr aber weiter strapaziert. Obwohl nur wenige Unternehmen ihre Goodwill-Bestände quartalsweise oder halbjährlich ausweisen und Gesamtzahlen deswegen erst mit Abschluss der Berichtssaison Ende April zu erwarten sind, wird jetzt schon deutlich, dass die Goodwill-Bestände weiter gewachsen sind. Signifikant etwa bei Bayer, SAP (WKN: 716460 ; ISIN: DE0007164600) oder Siemens (WKN: 723610 ; ISIN: DE0007236101). 

Für 1,5 Milliarden US-Dollar hat Bayer die Biotechfirma Vividion Therapeutics gekauft, was den vierten Firmenkauf in der Pharmasparte innerhalb eines Jahres darstellte. Infolge dieser Kaüfe und der ungünstigen Währungsschwankungen stieg Bayers Goodwill seit 2020 um sieben Milliarden EUR auf 43,5 Milliarden EUR bei einem Eigenkapital von 41,4 Milliarden EUR, womit Bayer mehr Firmenwerte angehäuft hat als alle andere deutschen Konzerne. Mit dem Verweis auf die internationale Rechnungslegung verzichtet der Konzern aber auf Abschreibungen und nutzt die Möglichkeit zur Verschiebung dieser Lasten. Noch vor zwei Jahrzehnten waren Unternehmen verpflichtet, den Goodwill innerhalb von zehn Jahren abzuschreiben, wodurch sich zwar die Altlasten, aber auch die Gewinne verringerten. 

Mit dem Platzen der Tech-Bubble hat sich die Wall Street für eine neue Praxis entschieden. Seit 2001 führen US-Firmen einmal jährlich eine Untersuchung der Werthaltigkeit ihrer Firmen und Geschäftswerte auf Basis der Annahmen des eigenen Managements durch. Da die Öffentlichkeit keinen Einblick in diesen Test hat, ist es intransparent, wie realistisch diese Annahmen sind. In Europa folgte diese Praxis bereits 2004. 

Als Folge dieser Regelung tätigen die Unternehmen kaum noch Abschreibungen, weshalb sich die Bilanzen aufgrund ungedeckter monetärer Zukunftsannahmen aufblähen. Allein in Krisenzeiten und bei Vorstandswechseln werden Abschreibungen getätigt. 

Schon lange warnen Experten, dass die Unternehmen nicht ausreichend für globale Krisen gerüstet seien. Bilanzprüfer fürchten, dass die Firmen so krisenanfällig sind wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Markus Wallner von der Commerzbank fürchtet, dass einige Unternehmen bei einer anhaltenden Wirtschaftsschwäche Abschreibungen vornehmen müssen, was die Eigenkapitalquote mindert. Da Bilanzbereinigungen sich allerdings negativ auf Aktienkurse auswirken, sei nicht mit solchen Bereinigungen zu rechnen. 

Warren Buffett hat damit Erfahrung: Der Großinvestor hält 26,6% der Aktien von Kraft Heinz (WKN: A14TU4 ; ISIN: US5007541064). Als der Konzern 2019 Abschreibungen in Höhe von 15,4% bekannt gab, wovon sieben Milliarden Dollar auf den Goodwill entfielen, fiel der bereits halbierte Aktienkurs noch einmal um 60% auf ein Rekordtief von 17,88 EUR. 

Unternehmen haben mehrere Möglichkeiten, den Handlungsspielraum, der sich ihnen im Umgang mit Firmen- und Geschäftswerten bietet, auszuschöpfen. So können sie den regionalen Zuschnitt oder Planungshorizonte verändern und in die Zukunft erweitern. Solche Änderungen können Wirtschaftsprüfer kaum in Frage stellen. 

Aktionäre sollten sich jedoch fragen, ob die Werte der gekauften Firmen die bilanzierten Erwartungen erfüllen können. So kaufte etwa SAP in den letzten zehn Jahren mehr als 20 Unternehmen. Seit 2011 ist SAPs Goodwill von 8,7 auf 35,7 Milliarden EUR gestiegen, womit der Konzern mehr bezahlt hat, als die Firmen rechnerisch wert waren. 

Auch Fresenius hat zuletzt die Hoffnungswerte auf 33 Milliarden EUR erhöht. Der extreme Absturz der Aktie in den letzten vier Jahren gilt laut Experten aber als Warn-Indiz. In den vergangenen Jahren waren sinkende Aktienkurse stets der Vorbote von schockierenden Abschreibungen in Milliardenhöhe.

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